Das Übersetzen von Dialekten: der Fall des Commissario Montalbano

Das Übersetzen von Dialekten: der Fall des Commissario Montalbano

Beitrag von Francesca Parenti | Juli 2019
Das Original auf Italienisch wurde von Maren Paetzold ins Deutsche übertragen.

Der reiche Sprachschatz der Montalbano-Krimis prägt das Bild Siziliens und birgt für die Übersetzung jede Menge Herausforderungen

Jetzt bleibt uns nur noch, auf den letzten Kriminalroman mit Commissario Montalbano zu warten. Camilleri ist von uns gegangen, und mit ihm geht auch der Kommissar – mit der letzten Erzählung der berühmten Krimireihe, deren Manuskript seit Jahren beim italienischen Verlag Sellerio hinterlegt ist. Die Krimis werden uns fehlen. Fehlen wird uns auch diese wunderbare, erfundene Sprache, die unnachahmlich bleiben wird.

Seit der ersten italienischen Ausgabe 1994 haben wir kein Kapitel des berühmtesten Kommissariats Italiens verpasst, und mit uns eine große Leserschaft in ganz Italien – Andrea Camilleri gelang das Kunststück, den Gang in die Buchhandlung wiederzubeleben. Seitdem schauen die Italiener mit anderen Augen auf ihren südlichsten Landesteil: Camilleris Sprache schuf eine Verbindung zum sonst so weit entfernt liegenden Sizilien.

Wenn wir einen Roman des meisterhaften Autors lesen, überlegen wir als Übersetzungsprofis jedes Mal, wie es wohl den Kollegen ergangen ist, die vor der Aufgabe standen, diese Texte in ihre Muttersprache zu übertragen. Und jedes Mal kommen wir zu dem Schluss, dass es eine wirklich große Herausforderung ist. Es ist sehr schwierig, die Sprache Camilleris zu übersetzen, zwischen den tausend möglichen Varianten zu wählen und eine Balance zu finden zwischen dem Risiko, zu sehr zu vereinfachen, und dem Anspruch, nichts vom Original wegzulassen.

Italienische Hochsprache und Dialekt in den Kriminalromanen des Commissario Montalbano

Die Montalbano-Krimis sind in einem Italienisch verfasst, das nicht immer der Standardsprache folgt, wie man sie in Italien in der Schule lernt. Einem regionalen Dialekt entspricht es jedoch auch nicht.
Der Autor selbst beschreibt seine Arbeit an der Sprache folgendermaßen: „Ausgangspunkt ist für mich immer eine solide Struktur auf Italienisch. Die dialektale Färbung kommt später. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein einfaches Einschieben mundartlicher Wörter in Sätze, die in standardsprachlichem Italienisch strukturiert sind. Vielmehr geht es darum, einer Tonlage zu folgen und eine Art Partitur zu komponieren, die nicht auf Noten, sondern auf dem Klang der Wörter basiert“1. Es gilt, eine Sprache zu kreieren, die der „Darstellung“ und der „Inszenierung“ der Ereignisse dient.

Camilleri führt seine Entdeckung, welche Bedeutung der Dialekt hat, auf seine Kindheit zurück: auf das sizilianische Marionettentheater, das in der Nachbarschaft aufgeführt wurde, und die Dichtungen des palermitanischen Abtes Giovanni Meli (1740–1815), die ihm seine Großmutter hersagte, als er klein war2.
Wie er zu der Verwendung von Dialekt in seinen Romanen kam, beschreibt er so: „In meiner Familie wurde sowohl Dialekt als auch Hochitalienisch gesprochen. Als ich kleine Geschichten erzählte, merkte ich, dass ich einen besseren Effekt erzielte, wenn ich eine gemischte Sprache verwendete. Ich begann mich zu fragen, warum mir das Italienische nicht ausreichte und untersuchte, wie Pirandello seine Figuren sprechen ließ. Später packte mich seine Feststellung ‘mit Sprache lässt sich der Begriff, mit dem Dialekt das Gefühl einer Sache ausdrücken’: Das wurde zur Grundlage meines Schreibens.”3

Sprachvarianten und Übersetzung

Die in den Originaltexten enthaltenen Sprachvarianten muss der Übersetzer natürlich berücksichtigen, um den Text nicht zu verflachen. Es ist entscheidend, dass auch die Übersetzung so weit wie möglich eine „Vielsprachigkeit“ aufweist. In den Montalbano-Krimis verwendet der Autor mindestens fünf verschiedene Sprachvarianten – jede mit einer ganz präzisen Aufgabe 4:

  1. Sizilianischer Dialekt aus der Region Porto Empedocle: Dieser charakterisiert bestimmte Figuren (Mafiosi, Polizisten, Bauern) oder wird für Sprichwörter und gereihte Synonyme genutzt.
  2. Einsprengsel von sizilianischem Dialekt ins Italienische: Sie illustrieren Stimmungen oder Handlungen von Montalbano – „scantato“, abgeleitet von „spaventato“ [erschrocken]; Dialektausdrücke für Gerichte der sizilianischen Küche – die „Pasta ’ncasciata“, von „incaciata“ [mit geriebenem Käse, dem Caciocavallo]; dialektale Redensarten, die inzwischen ins Italienische übernommen wurden, wie „rompere i cabasisi“, ein Euphemismus für „rompere i coglioni“ [jmd. auf den Sack gehen].
  3. Standarditalienisch im Wechsel mit Passagen im Dialekt: Spricht der Autor aktuelle Themen an (was in den letzten Romanen häufig vorkam) und möchte gesellschaftlich relevante Äußerungen einbringen, findet sich der Leser in einem Abschnitt mit tadellosem Italienisch wieder und versteht unmittelbar die Tragweite der Botschaft.
  4. Dialekt des Polizeibeamten Catarella: Eine Mischung aus Behörden- und Umgangssprache, durchzogen von sizilianischem Dialekt und angereichert mit scherzhaften, erfundenen Begriffen, was kontinuierlich zu Missverständnissen und tragikomischen Situationen führt.
  5. Dialekt anderer Regionen: Dieser charakterisiert Figuren, die aus anderen Orten kommen, und unterstreicht ihre Andersartigkeit gegenüber der Dorfgemeinschaft aus Vigàta, dem (erfundenen) Hauptort der Handlung.

Um den roten Faden der Geschichte nicht zu verlieren, muss ein italienischer Leser – und erst recht der Übersetzer dieser Texte – kontinuierlich die kleineren und größeren Rätsel dieser wundersamen Sprechweise lösen. Camilleri nutzt jedoch verschiedene Kniffe – am häufigsten eine Erläuterung –, um seinen Lesern die Bedeutung der dialektalen Wörter, die sonst unverständlich blieben, aufzuzeigen und ihnen so geduldig zur Seite zu stehen wie ein moderner Dr. Watson.

In den Kriminalgeschichten mit Commissario Montalbano setzt Camilleri diese Mischung aus verschiedenen Ausdrucksweisen ein, um den Orten der Handlung eine kinematografische und chronologische Identifikation zu verleihen – reale Orte, die nur in der Vorstellung existieren. Damit betont er auch die Handlungen und Szenen, die mal einen formellen, mal einen informellen, einen bürokratischen oder privaten Rahmen haben. Durch ihre Sprache werden die Figuren porträtiert. Montalbano ist wohl der einzige, der auf allen Sprachebenen kommunizieren kann, und Camilleri bedient sich dessen, um der Leserschaft das zu zeigen, was er selbst mit einer Wortschöpfung bezeichnet: die tragedialità der Sizilianer – ihren Hang zum „großen Theater“, ihre Fähigkeit, immer wieder neue Masken zu ersinnen und aufzusetzen.

Foto: Maren Paetzold. Torre di San Nicolò di Bari in Palermo

Über den Dächern von Palermo: Die Statue der heiligen Rosalia wacht über den Ausblick vom mittelalterlichen Wehrturm Torre di San Nicolò di Bari [Foto Maren Paetzold]

All diese Aspekte in eine fremde Kultur und Sprache zu übertragen, die sich gänzlich von der sizilianischen und auch der italienischen unterscheidet, dabei die Sprachvarianten zu erhalten und dem Leser den Charakter des Originaltextes zu vermitteln, ist eine komplexe und faszinierende Arbeit. Die Arbeit eines professionellen Übersetzers.

Ein Text, der für eine Veröffentlichung übersetzt werden soll, erfordert einen erfahrenen, muttersprachlichen Übersetzer, der sowohl die Thematik als auch die Bedeutungstiefen angemessen übertragen kann. Sie sind gut beraten, sich einem qualifizierten und auf den Fachbereich spezialisierten Übersetzer anzuvertrauen.

Quellen
1 Andrea Camilleri e Tullio De Mauro, La lingua batte dove il dente duole, Laterza, Bari-Roma 2013, S. 76-77
2 Artikel auf der Website von „La Repubblica“ https://ricerca.repubblica.it/repubblica/archivio/repubblica/2013/11/21/camilleri-de-mauro-dialogo-sul-dialetto.html
3 Zitat von Andrea Camilleri zum Wort des Tages „dialetto“ [Dialekt] https://dizionaripiu.zanichelli.it/cultura-e-attualita/le-parole-del-giorno/parola-del-giorno/dialetto/
4 Online-Artikel zu Dialekt in den Romanen Andrea Camilleris: Jana Wizmuller-Zocco http://www.vigata.org/dialetto_camilleri/dialetto_camilleri.shtml